Das 3:2 gegen St. Pauli steckt noch in mir drin. Dieser tolle Kick, bei dem der 1.FC Wundervoll einen 0:2-Rückstand noch in ein 3:2 umbiegen konnte. Und wäre ich noch genussvoll an die Treffer von Torsten Mattuschka, Adam Nemec und Simon Terodde denke, dem heutigen Schlager gegen die Kleeblätter aus Franken entgegenfiebere, versuche ich ähnlich spannende Partien vor meinem geistigen Auge aufsteigen zu lassen. Was gar nicht so einfach ist. Das eine oder andere habe ich ja auf zwei Kontinenten schon gesehen. Nachfolgend einfach mal die Spiele, bei denen ich live im Stadion war. Sozusagen meine persönlichen Highlight aus über zwei Jahrzehnten Stadiongängerei.
27. Juni 2010, Deutschland – England 4:2 in Bloemfontein
Ein Tag wie gemalt. Wenn mal von der Anreise absieht. Zeiten, die deutlich vor dem Aufstehen liegen, sind nicht so mein Ding. Aber unser Quartier während der WM lag nun einmal 399 km weiter nördlich zwischen Johannesburg und Pretoria. Und da die Anstoßzeit auf 16 Uhr festgelegt worden war, hieß es sich sputen. Zumal man mindestens zwei Stunden vor dem Spiel da sein musste. Und 400 km in Südafrika nicht zwingend der Verkehrswegigkeit deutscher Bundesautobahnen entsprechen. Fünf Mann in einem Auto waren dabei auch nicht unbedingt der Bringer. Aber egal, da musste man durch. An die Stadt selber erinnere ich mich nicht. Ankommen, parken, Akkreditierung abholen, Sicherheitsschleusen überwinden, die eines Flughafens würdig waren. Ein bisschen Vorfreue schwebte beim Anmarsch schon mit. Denn 25 000 englische Schlachtenbummler erfüllten mit ihren Gesängen die Luft in der Stadt der Rosen. Schon im Vorfeld hatten die englischen Medien das Spiel gut angeheizt. Martialisch wie so häufig. Deutschland erzittert vor den „drei Löwen“. Postiv aber allemalen, dass diesmal die Freunde altangelsächsischer Kriegsmetaphorik sich vornehm zurückgehalten hatten.
Das Spiel ein Traum. Klose und Podolski hatte die Joginatoren nach 32 Minuten komfortabel in Führung gebracht. Die DFB-Eleven spielten sich in einen Rausch, der Anschlusstreffer war ein Schönheitsfehler. Und dann kam das Wembley-Tor.. Besser gesagt die Neuauflage davon. Findige Köpfe wiesen zwar blitzartig nach (siehe Foto), dass der Ball niemals, nie und nicht die Linie hinter Neuer überquert hatte, doch die „Three Lions“ sahen das naturgemäß anders. Am Ende hieß es dank zweier Müller-Tore 4:1 für die Germanen. Und alle Debatten um das hätte, wenn und aber ob des nicht gegebenen Ausgleiches waren – ätschibätschi – nur noch theoretischer Natur. Logo, die Sun und Konsorten heulten ein wenig rum, machten ausgerechnet Lampard zum Symbolbild des Scheiterns. Aber alles in Maßen. Englands Altinternationaler fasste es gegenüber der BBC ganz gut zusammen: „Das war so schlecht, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Es war von der ersten Minute an hoffnungslos.“ Und als Augenzeuge musste ich ihm recht geben, war ich der festen Überzeugung, dass auch Lampards Equalizer dem Ausgang der Partie keine Wende verliehen hätte. Zu sehr hatte der Auftritt der deutschen Elf überzeugt. Dann hätte man eben nur 3:2 gewonnen oder 4.2.
Deutschland Argentinien 4:0, 3. Juli, Kapstadt, Cape Town Stadium
Immer noch ganz euphorisiert durch die Battle of Britain fieberten wir der Partie mit der Albicelste entgegen. Die waren ein ganz anderes Kaliber. Diego „die Hand Gottes“ Maradona als Trainer, dazu der Heiland in irdenem Gewand, aka Messi. Sozusagen der fleischgewordene Sohn Gottes auf grünem Rasen. Und immer noch mahnte im Hinterkopf die alte These, dass die Jungs mit dem Adler auf der Brust nicht mehr dazu in der Lage sind, einen der Großen zu schlagen. Und England, bei allem Respekt, gehörte schon seit 1966 eigentlich nicht mehr dazu. Memonto mori!
Nun also die Gauchos. In Kapstadt. Eine der schönsten Städte Südafrikas.Und endlich einmal auch etwas Zeit, sich vorher in der Stadt umzusehen. Eigentlich wollte man gar nicht mehr weg. Das Wetter stimmte. Die Stadt summte vor sich hin. Im Hafen kreischten die Möven. Der malerische Tafelberg lud zum Verweilen. So man sich die Mühe machte, ihn zu erklimmen.
Doch natürlich rief die Pflicht. Und auch die Lust. Schon weit vor Anpfiff hatte man sich ins Stadionoval begeben. Es lag etwas in der Luft. Es knisterte. Würde Argentinien Revanche nehmen für die Niederlage gegen Zettel-Lehmann vor vier Jahren? Spötter behaupten ja, das dort im Berliner Olympiastadion folgende Worte auf dem Papier gestanden hätten. „Nicht mehr als zwei halten. Sonst wirkt’s arrogant.“ Nun, Lehmann war weit weg. Berlin auch. Und hier in Kapstadt rollte die Kugel.
Kurioserweise befand sich mitten im teutonischen Pressemob ein südamerikanischer Kollege. Normalerweise trennt die FIFA weitestgehend die Reporter der Kontrahenten. Nun saß aber dort ein gefühlter 2-m-Hüne mittenmang. Und ward von Sekunde um Sekunde kleiner. Das treffliche Sinnbild der argentinischen Ladehemmung seht ihr unten. Der argentinische Berichterstater jedenfalls rutschte auf seinem Sessel hin und her. Er sank immer tiefer in sich zusammen, während rings um ihn her sich Unsereiner vor Vergnügen auf die Schenkel klopfte. Wir wussten gar nicht wohin mit unseren Blicken. Das Schauspiel auf dem grünen Rasen war dem auf den Presseplätzen ebenbürtig. Beim Schlusspfiff saß da ein kleines Häufchen Elend. Gefühlt in Hobbitgröße. Unfreiwilliger Hauptdarsteller in dem Streifen, „Liebling, ich habe die Gauchos geschrumpft.“ Und wir trauten immer noch unseren Augen nicht ganz über das gerade dargebotene. Unvermittelt kam mir „54 – 74- 90 – 2010“ von Stillers Sportfreunden in den Sinn. Diesmal würde es klappen. Der Griff nach dem Pott! wer sollte diese Joginatoren aufhalten können? Nun gut, Sie kennen die Antwort …
Borussia Dortmund – FC Bayern 5:2, 12. Mai 2012, Berliner Olympiastadion
Boah, ey. Was war ich sauer. Was erlauben Strunz? Ach ne, der spielte ja gar nicht mehr im Dress der Bajuwaren. Aber was der Rekordmeister da im Berliner Cupfinale geboten hatte, war unterirdisch. Eher eine Supernova denn ein Stern des Südens. Sicher, gegen Dortmund kann man verlieren, darf man verlieren. Aber eine Notschlachtung? Der eigens aus München angereiste @probek war auch nicht sonderlich amüsiert. Die zweite Stufe auf dem Weg zum verhassten Vize-Minga, war gezündet worden. Wenig später sollte sie im Finale dahoam gegen Chelsea endgültig in die Umlaufbahn geschossen werden.
Ich verstand es irgendwie nicht. Wo war denn der Ehrgeiz der Roten? Sicher, Arjen Robben verwandelte diesmal – anders als im Ligabetrieb wenige Wochen zuvor – seinen Elfer. Im Westfalenstadion hatte er zwei Minuten vor Schluss so arg gefehlt, dass der BVB sicher dem Titel entgegenstreben und bei 6 Punkten Vorsprung nicht mehr durch den FCB gefährdet werden konnte. Allein das hätte doch als Motivation schon genügen müssen, wenn einem schon der Spott egal war, dass man auf eine Stufe mit Vizekusen gestellt zu werden drohte.
Zu sehen war davon nix. Man war ich bedient.
Energie Cottbus – Hannover 96 3:1, 5. Juni 1997, Stadion der Freundschaft
Es mag ein wenig überraschen, warum jetzt ein Spiel hier auftaucht von Vereinen, mit denen ich eigentlich weniger verbunden bin. Ist vielleicht auch der außergewöhnlichen Saison der Energetiker geschuldet, die 1997 bis ins DFB-Pokal-Final stürmten und dort gegen den Ligavierten VfB Stuttgart mit 0:2 verloren. Ich erinnere mich noch gut an den Abend wie ich hinterher mit Ingo „Inge“ Schneider, Jens-Uwe Zöphel und Igor Lazic zusammen vor dem VIP-Zelt der Lausitzer nördlich des Marathontores stand und über den geplatzten Traum und ihre Aufstiegssaison parlierte. Die Schneeballschlacht gegen Bundesligist Karlsruhe mitten im April spielte da auch eine Rolle, als Cottbus Euro-Eddy & Co. mit 3:0 aus dem Stadion der Freundschaft kegelten.
Nun, die Relegation gegen Hannover hatte es auch in sich. Der Vergleich mit zwei Schwergewichtsboxern traf es irgendwie. 96 hätte das 1:1 aufgrund der Auswärtstorregel gelangt, Energie wirkte so saftlos, als hätte man ihnen den Stecker rausgezogen. Doch um 21.38 Uhr fiel das Flutlicht aus. Und als die beiden Mannschaften 12 Minuten später weiter machen konnten, flog der beinharte Jens Melzig, der mühelos in jedem James-Bond-Film als Bösewicht akzeptiert worden wäre, vom Platz. Aus die Maus. Schluss der Traum vom bezahlten Fußball. Energie würde nicht neben Zwickau, Jena und vor allem Hansa Rostock das schmale Grüppchen ostdeutscher Fußballklubs im großen Ligazirkus verstärken können. Doch dann kam nur eine Minute später Detlef Irrgang und legte wenig später noch einmal nach. Geschafft. Der FCE war aufgestiegen. Und ich war erstmals bei etwas Großem dabei gewesen.
Das ist vielleicht übrigens noch ein Grund, warum mir das Spiel im Gedächtnis geblieben ist. Es hatte mit meinem Weg als Sportjournalist zu tun. Mit Spitzenfußball hatte ich wenig zu tun gehabt bis dahin in meiner Laufbahn. Für das schmale Zeilengeld von 30 Pfennige hatte ich in der Provinz beim Göttinger Tageblatt Vorschauen für die achtklassige Bezirksklasse geschrieben. Auch wenn wenig Später Bezirksliga und Bezirksoberliga dazu kamen, dann von Grone in der Landesliga und der SVG Göttingen in der Oberliga bereichert wurden. An den Platzhirschen der Universitätsstadt, den noblen SC Göttingen 05, ließ man einen freien Mitarbeiter nicht ran. Ih, bewahre. Höchstens auswärts, wo das GT aus Kostengründen keine Mitarbeiter hinschickte und ich auch nur dann zum Zug kam, wenn ich beispielsweise kostengünstig in Oldenburg oder ähnlichem bei FreundInnen übernachten konnte. Selbstmurmelnd ohne Reisekosten abrechnen zu dürfen .Gut, dass ich seinerzeit einen alten Golf Diesel hatte …
FC St. Pauli – SC Paderborn 2:2, 1.4.2013, Millerntor
Es gibt Spiele, über die muss man nicht viele Worte verlieren. Das Remis im Montagabendspiel ist so eins. Normalerweise nix für di Annalen. Doch diesmal war alles anders. Wann erlebt man schon einmal live ein Kopfballtor eines Torhüters. Höchst selten. Umso erfreulicher, wenn man davon Augenzeuge ist. Noch erfreulicher ist es, wenn man es als reiner Besucher im Stadion erleben darf. Bei Bratwurst und Bier halt. Das Dumme am Fußball ist ja, um es vom Herrn Yeboah und seinem legendären Premiere-Werbespott zu entlehnen, jedesmal wenn ich ein Stadion betrete, muss ich ja arbeiten.
1.FC Union – BFC Dynamo 8:0, 21. August 2005, Stadion an der Alten Försterei
Was hatten wir uns alle aufgeregt. Im Vorfeld. Im Spiel dann auch nicht weniger. Doch dazu später mehr. Das erste betraf die Ereignisse in einer Disco in der Frankfurter Allee, in der die Herren Ordnungshüter am Vorabend des Derbys ein wenig allzugründlich nach den dem Rechten gesehen hatten. Folglich stand die Partie kurz vor der Absage. Das ganze Ambiente war seltsam angespannt. Von der Grünen in voller Montur bis hin zu den 14 200 auf den Rängen. Dann rauften wir uns wieder die Haare. Über Chancentod Karim Benyamina. Der war damals im ersten Jahr eisern. Und noch ganz weit entfernt davon eines Tages als Rekordtorjäger seinen Dienst an der Wuhle quittieren zu dürfen. Im Spiel gegen die Weinrotweißen jedenfalls ließ er unglaubliche Fehlschützenqualitäten erkennen, auch wenn er am Ende drei Mal eingenetzt hatte. Was er versiebte hätte – gefühlt – für drei Schützenfeste langen müssen. Egal. Lassen wir das. Er hat sich entwickelt und zu Recht einen klangvollen Namen in der eisernen Ruhmeshalle. Und auch wenn viele es nicht mehr wahrhaben wollen: Hätte Jörn Lenz mit seinem Freistoß kurz vor der Pause auf 1:2 verkürzt, wer weiß, welchen Verlauf die Partie dann genommen hätte. Doch hätte, wenn und aber. „You know who“ traf nicht. Jack Grubert kurz nach der Pauseaber schon. Was so ziemlich das Einzige ist, wofür er in Köpenick in Erinnerung blieb. Und am Ende war es ein rauschendes Fest im Ballhaus des Ostens. Was den 1.FC Wundervoll übrigens nicht daran hinderte, den Trainer dieses Sieges wenige Wochen später zu entsorgen, ihn zu einer Randnotiz in der Geschichte der Eisernen verkommen zu lassen
Und weil ich gerade merke, dass ich viel zu sehr ins Plaudern gekommen bin, beschließe ich, meine aufregendsten Spiele in zwei Teile zu teilen. Mehr also demnächst auf diesem Sender. Oder wie es immer so schön in Comics heißt: Fortsetzung folgt.