Der erste Ton ging unter im Jubelsturm der Menge. Da stand sie nun da. Im Rampenlicht. Gefeiert von den Massen. AnNa R. Die Frau, durch die ich der Bunkine gegenüber wortbrüchig geworden bin. Werden musste. Ich hasse das. Pacta sund servanda. Und normalerweise gebe ich keine Versprechen, von denen ich nicht weiß, ob ich sie erfüllen kann.
Doch nichts von alledem tut mir leid. Denn diesmal war es wirklich nicht meine Schuld. Echt nicht.
Nun gut, man könnte mir vorwerfen dass die frühkindliche Musiksozialisation meiner Tochter völlig schiefgelaufen ist. Nur weil ihre beiden sich sonst nicht immer so einigen Altvorderen voll krass auf Rosenstolz standen, hätte man die zarten Kinderohren damit nicht malträtieren müssen. Doch da wir unseren Erziehungsauftrag nun schon einmal schmählich vernachlässigt hatten, lag nix näher, als dem Kinde das Objekt der Begierde persönlich vor Augen führen zu wollen, sprich der damals fast 10-Jährigen einen Konzertauftritt des Duos in der Freilichtbühne Wuhlheide zuzumuten.
Es war – Sie können es sich denken – ein voller Erfolg. Mochten die Augen auch fast zuklappen zu vorgerückter Stunde, die Erlaubnis die Bühne zu verlassen, ward nicht erteilt, bevor der letzte Akkord verklungen war. Endgültig angefixed, das gute Kind. Natürlich ließ mich ihre vorgetragene Textsicherheit mit stolzgeschwellter Brust verkünden, dass wir im kommenden Jahr selbstmurmelnd ein weiteres Mal AnNa R. die Königin auf unserer Bühne sein würden lassen. Ein leichten Herzens gegebenes Versprechen, da sie Irgendwo in Berlin immer ihr Unwesen getrieben hatte, seit ich 1996 erstmals auf sie aufmerksam geworden war. Für die Bunkine war allein schon das Versprechen an sich eine – bescheiden wie sie nun mal ist – Überdosis Gück.
Es kam – Sie ahnen es aufgrund der weiter oben gemachten Ausführungen – Anders als geplant. Sie kamen und gingen. Erst fanden die Konzerte nur unter der Woche statt, was einem Schüler jüngeren Baujahres nicht zwingend als Termin anzubieten war. Ein Hosenkonzert in der Waldbühne als Ersatz war zwar nett, aber auch nur Irgendwo dazwischen. Jedenfalls nicht AnNa und Peter. Dann kam ein erstes Burnoutsyndrom weiblicherseits. also Anna, nicht die Bunkine. Nur einmal noch, wollten wir ihr entgegenrufen. Doch sie vernahm unser Flehen nicht. Vielleicht auch, weil sie um unsere Existenz gar nicht wusste. Am Ende wollte dann der Herr Plate auch nicht mehr so recht. Mittlerweil stellte sich recht unbarmherzig die Frage Wie weit ist vorbei?. Als Wir sind am Leben erschien, schien das zunächst als großes Versprechen. Die Hoffnung kehrte zurück. Aber eine Rückkehr auf die Bühne fand nicht statt. Und aus den ganzen Trennungsgerüchten wurde dann bittere Wahrheit. Plötzlich wacht man auf und Es ist vorbei.
Doch irgendwo ist immer Licht am Ende des Tunnels. Und da stand ich nun vor der neuen Hoffnung. Sicher, Gleis 8 war nicht Rosenstolz. Und als ich das erste Mal die CD anhörte, war ich seltsam enttäuscht. Das war Anna. Ohne jeden Zweifel. Und doch nicht dasselbe. Es fühlte sich falsch an. Allein schon wegen des Wettrennens, das sie und Peter sich geliefert hatten, wessen Soloprojekt denn als erstes auf dem Markt erscheinen würde. Peter legte zwar mit „Schüchtern ist mein Glück“ vor, aber es war wie immer auf den Konzerten. Einzelne Lieder waren unabdingbar. Und sei es nur, weil Anna so die nötige Zeit fand, ihr Bühnenoutfit mal wieder einem Wandel zu unterziehen. Aber Peter einen ganzen Abend lang zuzuhören, ne, das ging dann irgendwie doch nicht.
Musste ich auch nicht. Zumal mir auch der kleine Silberling von mal zu mal immer besser gefallen hatte. Und nun live. Gleis 8 waren großartig. Gitarrenlastiger als Rosenstolz.Härter. Nicht so balladesk. Was ich ja anderenortes auch schon mal beschrieben hatte. Das längst verloren geglaubte Gefühl war wieder da. Das Astra als Location perfekt. Nicht zu groß, nicht zu klein. Es hatte was von einer Retrotour. Sozusagen zurück zu den Wurzeln, als Anna und Peter in kleineren Clubs aufgetreten waren und noch nicht mühelos die Kindlbühne in der Wuhlheide füllen konnten.
Routiniert wurde sich nach überwundener Anfangsnervosität am Publikum abgearbeitet, ohne dass es sich veralbert vorkam. Kokett und sinnlich die Texte. Mal nachdenklich und dann beschwingt. Man merkte, da standen ein paar Musiker auf der Bühne, die vor allem eins hatten: Wirklich Spaß an ihrer Arbeit. Und so ihr Publikum mitnahmen.
Auch ich erwischte mich dabei, dass ich mit dem iPhone versuchte Momentaufnahmen für die Ewigkeit zu erstellen. Wohl wissend, dass am heimischen PC das alles nicht halb so gut rüberkommt wie live und in Farbe. Selbst meine Begleitung, der deutschen Zunge als junger, gerade mal zwei Wochen ins Land eingereister US-Bürger nicht im geringsten mächtig, ist erbaut, verzichte dankend auf meine textlichen Übersetzungen, um sich allein den Rhythmen hinzugeben. Und mit jedem Lied mehr steigerte sich beim Zuhören der Wunsch, dass doch bitte, bitteschön da vorne nicht zu früh aufgehört wird.
Ein frommer Wunsch. Wer nur ein Album auf seiner Seite hat, der kann kein Füllhorn über einen ausschütten. Ist halt so. Auf alte Rosenstolz-Ergüsse wartete man daher vergeblich. Anders als eine Tarja Turunen hat AnNa R. sich nicht aus dem reichhaltigen Fundus altgedienter Songs bedient, um das Publikum auf ihre Seite zu ziehen. Aber das war ja irgendwie auch klar. Gleis 8 hatte im Vorfeld schon genug damit zu tun gehabt, diese Vergleiche möglichst weit klein zu halten. Und wenn man es unbedingt will und genug darüber weiß, dass Peter der Marketender unter den beiden und am Ende der treibende Keil in der Trennung gewesen ist, kann man „Geh mit dem Teufel trinken“ durchaus als eine Abrechnung mit ihrem alten Gspusi sehen.
Was muss sich ändern, damit alles bleibt wie’s ist?, fragt Gleis 8 in einem ihrer Songs. Eigentlich nichts. Nur weitermachen müssen sie. Und dann vielleicht auch mal mit Terminen, an der die Bunkine kann. Denn wie es der Zufall wollte, auch diesmal war sie verhindert.