Szenen meines Lebens IV

Wer immer mir in meiner Addolszenz geweissagt hätte, ich würde dereinst beim Boulevard meine Brötchen buttern lassen, der hätte ein schallend Gelächter geerntet. „Du wallraffst wohl gar nichts mehr“, hätte ich ihm in jugendlicher Überheblichkeit fröhlich entgegen geschmettert. Lediglich die örtliche Landeszeitung, die „TV Hören & Sehen“ und den unverzichtbaren Kicker wussten wir in unserem Hause zu halten. Getreuer Begleiter war auch ein aus Hamburg stammendes montägliches Wochenmagazin, das mittlerweile mehr Geld mit Hitler verdient als die NPD.

Nicht, dass ich groß mit den vier Buchstaben und ihresgleichen wirklich zu tun gehabt hätte. Aber das war mir egal. Meine Meinung hatte ich mir gebildet. Und durch so etwas wie Fakten war sie nicht im geringsten zu erschüttern.

Ach ja, der Jugend leichter Sinn. Schnell und eilends fertig mit dem Wort. Weder wusste ich damals was ich werden will. Noch fand ich eine Karriere in der schreibenden Zunft erstrebenswert. Ein Abi-Kollege werkelte zwar in Lüneburg als Volontär in einem Anzeigenblatt und am Sonntag im Sportteil der Landeszeitung vor sich hin. Wir teilten auch die Neigung zum gleichen Fußballklub und für sechs Monate mal eine Wohnung miteinander. Aber als Lehrerkind erschien mir ein Studium und da Interessensbedingt das der Geschichtswissenschaften am natürlichsten.

Meine ersten Gehversuche waren zudem recht heimlicher Natur. Mein mich finanzierend Vater hätte mir so einiges gelesen,  beispielsweise die Leviten, so er denn gewusst hätte, dass ich für ein absolviertes Praktikum während der Vorlesungszeit quasi ein Semester verschenkte.

Auch die illustren Metropolen wie Hameln. Göttingen und Eisenhüttenstadt, in denen ich schreiberisch tätig wurde,  deuteten nicht zwingend auf eine Beschäftigung bei einer Kaufzeitung hin. Wobei ich an letzter Station immerhin schon den Wunsch, dereinst als Sportreporter hauptberuflich tätig  werden zu können, ein großes Stückchen näher gerückt war.

Dann kam der Sommer of Nintynine. Des ewigen Fahrens aus Berlins Speckgürtel nach Franfurt/Oder leid, die Bunkine justamente am Entstehen, stand ich unvermittelt vor der Wahl: Ab nach Hamburg, wo eine stets am Mittwoch erscheinende  Sportzeitschrift meines Kommens harrte? Oder das Angebot vom Alexanderplatz annehmen?

Ich entschied mich für Letzteres. Auch weil der Bunkine werdende Mutter gar zu sehr ihren heimatlichen Gefilden verhaftet schien. An die Alster hätte sie mich kaum begleitet.

Bereut habe ich es eigentlich nie. Immerhin machte so die Bekanntschaft des 1.FC Wundervoll. Manch erbauliches Wortspielchen, zahlreiche Reisen und Bekanntschaften erweiterten meinen Horizont ganz ungemein. Und verhungern musste ich also auch nicht gerade.

Die ursprüngliche Abneigung ist längst kuriert. Mittlerweile bin ich jetzt seit einer Dekade boulevardesk tätig.  Mit Freude am Schreiben. Mit Witzen, die man niemals gedruckt sehen möchte. Manch Wortspiel aus der Hölle erfreute schon die geneigte Leserschaft. Und so soll es auch bleiben. Man tut halt, was man kann.

Gero

Ich mach mir Sorgen. Um Gero. Gut, ich kenne Gero nicht. Nicht mal ansatzweise. Aber heute morgen wurde ich in der S-Bahn dankenswerterweise ebenso lautstark wie umfassend über ihn informiert. Oder besser gesagt, über seine Probleme. Die mit der Diplomarbeit, meine ich. Darüber bin ich jetzt voll im Bilde. Wobei ich bis vor kurzem gar nicht mal wusste, dass Gero studiert. Aber okay, man lernt ja nie aus.

Aber zurück zum Thema: Die Anzahl der beschrieben Seiten bei Gero tendiert deutlich gegen Null. Mein Gegenüber verstieg sich kurz vor dem Ostbahnhof sogar zu der Behauptung, dass es genau Null seien. Was zwar nichts mit Ostbahnhof zu tun hat, aber dem geneigten Leser zumindest ein visuell fassbares Bild vor Augen führt, falls er über Gero noch keine eigene Meinung haben sollte. Nun ja, der Gero will jetzt irgendwie nicht. Nach Berlin kommen, sich hier helfen lassen. Obwohl es ihm beim letzten Maal gefallen habe. Dabei wurde es ihm doch so schön offeriert. Zitat: „Wenn er mal eine Woche hier wäre, dann könnte man ihm bei den ersten zwei, drei Seiten helfen. Der Rest geht dann von alleine.“

Ich glaube auch noch das Wort Paderborn vernommen zu haben. Aber da kann ich mich auch irren, weil seit Sonntag, als Union von Platz elf auf Rang 2 vorstürmte, das Wort Paderborn allgegenwärtig ist für Eiserne.

Ich finde das wirklich gut, wie offen unsere Gesellschaft mit solchen Problemen umgeht. Gero wird das zu schätzen wissen. Irgendwann einmal. Denn bis dahin war ja eigentlich wichtiger in Nahverkehr zu erfahren, wann denn jemand die Kartoffeln aufsetzen habe. Oder was sonst in der Küche noch fehlt. Oder wie viele Nanosekunden man von der Liebsten entfernt war. Das war immer irgendwie viel zu privat, fand ich.

Und nun könnte man helfen. Endlich. Altruistisch und uneigennützig. Wenn der Typ nicht auf einmal am Ostbahnhof mitsamt dem Gespräch ausgestiegen wäre.

Jetzt steh ich da. Und mach mir Sorgen. Wie es weiter geht. Mit Gero. Hatte ich das irgendwo schon einmal erwähnt?